TAZ
[mehr...]Sonic Seducer
[mehr...]Argh
[mehr...]Bad Alchemy
[mehr...]We rock you like crazy (engl.)
[mehr...]Elekt Noiz (engl.)
[mehr...]Bad Alchemy
[mehr...]Bad Alchemy
7/2005
Ogre-Sse (VOD13, LP) ist nach Terre et argent auf Wachsender Prozess (-> BA 46) die bereits angedeutete zweite Wiederkehr der Postpunk-Experimentalisten NON TOXIQUE LOST. Von der Formation aus Sea Wanton, Pogo, Steffen Schütze & Achim Wollscheid wurde weiteres Studio- & Livematerial zur Neugewichtung vorgelegt, darunter Ausschnitte ihrer Auftritte beim Berliner Atonal 2 (2.12.83), im Geminox, Frankfurt (9.6.84) und vom kontroversen Gastspiel in Amsterdam (4.10.85). Es gibt Überschneidungen, wobei man den ‚Kriegstanz' gar nicht oft genug hören kann. Auch ‚Zufrieden', ‚ga leschi gambi' und ‚Wer keinen Schmerz mehr spürt' verbrauchen sich beim Mehrmalshören nicht, im Gegenteil. NTLs Beitrag zum programmatischen Nonkonformismus jener Jahre, die Weigerung, „in das miese, vorgefertigte System der Idioten einzusteigen" (wie der Pressetext zum Atonal 2 verlauten ließ), bestand darin, fremde Sprachen im eigenen Unland zu sprechen, verzerrte Phrasen wie ‚Der tod des soldaten' (ist beschlossene Sache), der paradoxe Schrei (oder was ist das sonst, wenn man „wir sind zufrieden" brüllt wie auf kleiner Flamme geröstet?), das Wortspiel: „'hair' (seid ja so allein c'est l'anarch...qui? hair et lutter)", dazu undeutsch polyglottes Gestammel: ‚ga leschi gambi' ... and what is rock'n roll all about?... qui c'est la neige qui c'est la reve... it's because... you dream.. about fucking, and fucking, and... musik musik musik mein ganzes leben ist...verstümmelt ist der leib der schrei rast um die welt.
Ein Schrei, eine Power und eine kreativ-expressive Verve, die in ihrer gleichzeitig zähnefletschenden Over-the-topness und fast schon wieder lakonischen Kakophonie heute Ihresgleichen schwer fände, zumindest im Inland. Wollscheid erinnert sich: „Es war ne seltsame Zeit, damals. Die Lebensenergie, gleichzeitig eine Gleichgültigkeit gegenüber irgendwelchen Standards, auch ne gewisse Arroganz denen gegenüber, die es angeblich besser konnten oder wussten..." Federführend für die Retrospektiven ist allerdings weder der Selektions-Macher in Frankfurt noch Schütze, der damals den Spagat zwischen Whitehouse und Josef Anton Riedl beherrschte und der heute angeblich nochmal ein Studium aufgenommen hat. Treibende Kraft ist Wanton, der, inzwischen in Berlin, NTL am Leben gehalten und für 2006 sogar ganz neues Material in Vorbereitung hat.
Für nächstes
Jahr ist auch die vollständige Veröffentlichung der Atonal-Attacke
geplant, mit Artwork von Schütze und Fotos, Statements, Reminiszensen
alter Weggefährten sowie Rezensionen. Was hat Adi Atonal damals
verkündet? „Die stinkenden Versuche eingebildeter Zyniker und
Charaktermasken in den Medien und hinter den Kulissen, mit
Businessmethoden jeden Ansatz, etwas anderes zu tun, kaputt zu kriegen,
werden überlebt." Nun, einige von uns haben sich dieses Überleben in
die heutige „unübersichtliche (oder, besser, undurchfühlbare) Zeit",
wie Wollscheid so treffend anmerkt, doch etwas anders vorgestellt. Wie
sagte Pinguin Sr. kürzlich zu seinem Sprössling: „Als ich noch ein
Adler war..." Auf der Compilation Mondo Carnale – Best of 1981-1989
(VOD14, LP) ist die minimale elektronische Musik (mit zumeist deutschen
Texten) von HERMANN KOPP zu hören, die zum Teil auf seinen Platten
„Aquaplaning in Venedig" und „Pop" erschienen war. Seine Stücke sind
karg, statisch und minimalistisch. Manchmal kommen noch Violinklänge
oder ein Bass mit ins Spiel. Kopps Stimme spricht mehr als dass sie
singt. Leider fehlt seinen Elaboraten die Originalität und
Vielschichtigkeit, die Projekte wie Pyrolator oder Der Plan besitzen,
mit denen er von Vinyl-on-Demand gerne verglichen wird. Meist neigt
seine Musik zu Längen. Wirklich interessant wird es hier nur bei den
etwas noisy ausgefallenen Stücken, die als Soundtrack zu den (Kult?-)
Filmen „Nekromantik" oder „Todesking" (von Buttgereit / Jelinski)
entstanden sind – und mir komischerweise eher etwas zu kurz geraten
erscheinen. Dieses Album ist übrigens Luis Buñuel gewidmet. Warum auch
immer. PS: Trotzdem schön zu wissen, dass in den 80er Jahren nicht nur
in Berlin außergewöhnliche Musik gemacht wurde, sondern auch in der
südwestdeutschen Provinz. Auf unterHALTUNG (VOD15, LP) wird die Musik
von TASS 2 dokumentiert, wie sie auf deren 1984er Tournee „Manöver"
dargeboten wurde. Die 12 Stücke bewegen sich irgendwo zwischen
rhythmisch durchstrukturierter, elektronischer Musik und Industrial.
Aber trotz Titel wie ‚tanz DEBIL' oder ‚Stahlgeburt' sind sie von den
Berliner Kollegen Einstürzende Neubauten meilenweit entfernt.
Schließlich arbeiten Thomas Schmitt und Thomas Scholz lieber mit Orgel,
Synthesizer, Sequenzer und Rhythmusmaschine etc. als mit
Schrottschlagzeug oder Stahlfedern. So etwas nennt man heutzutage auch
gerne „minimal electronic". Aber damals halt noch vollkommen analog
erzeugt. Mit dem Projekt P1/E, bei dem Ute Droste, Eric Franke, Michael
Hirsch, Michael Schäumer und Thomas Voburka sowie der umtriebige
Alexander Hacke mitwirkten, verbleiben wir in Westberlin. Second
Offender (VOD16, LP) versammelt das in den Jahren 1980 und 1981
entstandene, elektronisch geprägte Gesamtwerk von P1/E.
Analogsynthesizer und Sequenzer werden von Bass und Schlagzeug
unterstützt, eine Gitarren setzt dubige Akzente. Dazu wird gesungen in
deutscher oder englischer Sprache. Überraschenderweise taucht auf der
zweiten Plattenseite, auf der vier Live-Tracks aus dem legendären (und
inzwischen auch bei Kathrin Röggla angekommenen) SO36 dokumentiert
werden, Ziggy XY (von Der Moderne Man bzw. Kosmonautentraum) auf – u.a.
um ein Lied seiner ersten Band zu singen. Aus dem swingenden Wave Dub
Reggae-Stück von Der Moderne Man (vgl. die 1980 in Hannover auf No Fun
erschienene LP 80 Tage auf See) wird bei P1/E eine mit
(Gitarren-)-Noise angereicherte, dem Thema ‚Gib mir den Tod'
angemessene morbide Angelegenheit. Gegen Ende des Gig s k lingt Ziggy
XY immer aggressiver. Vielleicht wegen den Störern, die „aufhören!"
schreien (wahrscheinlich irgendwelche ignoranten Punk Kids) oder weil
das ansonsten wohlgesonnene Publikum bei ‚49 Second Romance' trotz
treibender Rhythmen nicht so recht tanzen will? „Dance! Dance! ...
Könnt ihr oder wollt ihr nicht? ... Tanzt! Tanzt! ... Wollt ihr nicht
endlich tanzen?! Tanzen! ... Ihr könnt überhaupt nichts ...".
Köstliches Dokument! Erinnert mich während guter Momente an die LP Die
Guten und die Bösen von der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft
(wahrscheinlich auch wegen des 80er-Jahre-Synthie-Sounds, den die DFA
bzw. das LCD Soundsystem so nachahmenswert finden). Gemäß der
Philosophie des Liebhaber-Labels Vinyl-on-Demand entführt uns auch das
Album Don't Tell Me Stories (VOD17, LP), eine Compilation mit Werken
des deutsch-englischen Duos DIE UNBEKANNTEN, in die frühen 80er Jahre.
In diesem Falle gibt es ein erfreuliches Wiederhören mit englisch
geprägter New Wave Musik aus den Jahren 1981 bis 1983, die es nicht
verbergen kann, von Bands wie Joy Division oder (den frühen) New Order
inspiriert gewesen zu sein. Nannte man das damals schon Dark Wave?
Wahrscheinlich. Nicht nur der Bass, auch die Stimme ist tief. Manchmal
schneidet die Gitarre ihre Riffs in die Songs. Oder eine
Rhythmusmaschine tuckert dazu. Mit dem treibenden ‚Radio War' oder dem
schönen ‚Dont't Tell Me Stories' hätten Die Unbekannten bestimmt groß
rau s k ommen können, hatten sie nicht auf Labels wie Monogam
veröffentlicht, sondern bei irgendwelchen damals angesagten englischen
Labels wie Rough Trade oder Factory. Nicht nur für in den 80ern stehen
gebliebene Schwarzkittel interessant! *GZ