TAZ
[mehr...]Sonic Seducer
[mehr...]Argh
[mehr...]Bad Alchemy
(03/05)
Der Oktober '04 brachte im
monatlichen Fortlauf der VOD-Ausgrabungen mit Inventaire &
Contradictions (VOD 10, LP) eine Retrospektive auf die frühen
Prä-Vinyl-Jahre 1982 - 1988 von DAS SYNTHETISCHE MISCHGEWEBE. Mit den
bruitistischen Traktaten von Guido Hübner, Isabelle Chemin & Yref
wird wieder ins Bewusstsein gehoben, dass die 80er auf ihrer
Low-Tech-Unterseite ein virulentes Experimentier- & Spielfeld
dulden mussten für Existenzen, die die Beuys'sche Parole „Jeder Mensch
ist ein Kassettentäter" zur Praxis werden ließen. Die bisher
unveröffentlichten Tracks ‚Überlebensformen IV' (1987) & ‚Harvest
of Magnetism III' (1988) entstammen, wie die Titel anzeigen, der
gleichen Sedimentschicht und Serie wie das gleichnamige Material des
1990er LP-Debuts auf Discos Esplendor Geometrico.
Die B-Seite geht noch weiter in die Vergangenheit und bietet neben
Stoff, der einst auf Cassetten Combinat bzw. Alien Artists in Berlin
und ZSF Produkt in Tokyo zu hören gewesen war, mit der süffisant
verbohrten ‚Ode an Conrad Elektronik' einen weiteren Archivfund, der
eine Inspirationsquelle für DSMs DIY-Bruitismus andeutet. Wobei
Schnitzlers Vorbild sich wenig bis garnicht im Klangbild niederschlug.
[Anmerkung von GZ: Mensch Rigo, vielleicht spielen die ja auch gar
nicht auf Conrad Schnitzler an sondern nur ganz profan an diese
Elektrotechnik-Kleinteile-Einzelhandelskette...?] Hübner & Co.
operierten von Anfang an auf einer ambienteren Ebene, mit einem
spröden, unspektakulären, aber keineswegs ikonoklastischen Bruitismus,
der ins Ahumane tendierte, mit einem feinen Gehör für das Eigenleben
des Stoffes und einer mikrokosmischen Käferperspektive oder einem
makrokosmischen Bug-Eyed-Alien-Blick. ‚Überlebensformen' hat zumindest
im Titel einen ziemlichen Beigeschmack von Tietchens' scher
Sublim-Misanthropie und im müden Kreisen von ‚Loop of Existence' wird
die Ewige Wiederkehr des Gleichen gegen jede evolutionäre Illusion als
Endlosrillendrehwurm sinnfällig gemacht. Nietzscheanisch unterfüttert
ist auch, durch die Dionysos-Anspielung, ‚Bacchus pt.2', ein
pulsierender, knurschender Harsh-Noise-Drone, der, von Voodoobeats
angepeitscht, im Accelerando abzuheben versucht. DSM wird einem durch
Inventaire & Contradictions als komplexes, vieldeutiges Unternehmen
der nichtakademischen, postindustrialen Noise Culture vermittelt, mit
einer kryptischen Härte, an der man sich die Zähne ausbeißen kann.
In dem von Wolfgang Müller herausgegebenen Merve-Bändchen zum Thema
„Geniale Dilletanten" kommt SPRUNG AUS DEN WOLKEN bzw. dessen
Mastermind Kiddy Citny nur in den Fußnoten oder Bildunterschriften vor
– obwohl dieses Projekt auch auf dem „Geniale Dilletanten"-Festival im
Jahr 1981 auftrat. Nie wurde es so berühmt wie die Einstürzenden
Neubauten oder posthum zum Kunst- und Kult-Objekt hochgejubelt wie Die
Tödliche Doris. Trotzdem haben sie ihre hörenswerten Spuren
hinterlassen auf mehreren Tape-Veröffentlichungen und Schallplatten.
Die 18 Stücke auf der LP Early Recordings (VOD 11, LP) sind nun ein
Querschnitt durch die Jahre 1981 und 1982 (als Zugabe gibt es noch
einen Nachzügler aus dem Jahr 1989) und dokumentiert den Klang einer
für das damalige Westberlin nicht gerade untypischen Gruppe – damals
als Die Mauer noch stand und sich die Subkultur der ehemaligen und
zukünftigen Hauptstadt der geräuschvollen Endzeitstimmung hingab. Da
pulsiert die Rhythmusbox, da gibt es metallische Perkussion zu hören,
atonale Tonfolgen noisiger Gitarren, kernige Bassläufe,
Tonbandeinspielungen, Loops, etc. sowie meist deutschsprachige Texte.
Gegen den Strom. Musik, die Liebhaber des Labels Zickzack von der LP
Dub or die (ZZ75, 1981) in zwei Fällen wieder erkennen werden. In engen
Grenzen sogar eine recht abwechslungsreiche und hörenswerte
Schallplatte. Einzelne eher elektronisch orientierte Stücke wirken fast
zeitlos, ja fast schon wieder modern.
Für Liebhaber gibt es zusätzlich noch eine Single des Sprung Aus Den Wolken-Vorläufers O.U.T. / OHNE UNTERTITEL (VOD 11S, 7"). Die drei darauf enthaltenen Titel aus dem Jahr 1980 sind allerdings nicht ganz so überzeugend wie die frühen Aufnahmen von Sprung Aus Den Wolken. Trotzdem interessant. GZ Zu Weihnachten veröffentlichte Vinyl-On-Demand eine neue Single der verblichenen Künstlergruppe DIE TÖDLICHE DORIS. Für Stigfinnareträffande II / Zwei Herzen (VOD XMAS04, 7") hat das ehemalige Doris-Mitglied Wolfgang Müller zwei alte Stücke aus den Jahren 1982 und 1983 ausgegraben. Das erste, ein reines Sprech-Stück, zeigt Die Tödliche Doris im Sprachlabor – oder e s k lingt zumindest so. Würde mich nicht wundern, wenn das Isländisch wäre, was da so holprig und hölzern rezitiert wird. Aber vermutlich ist es dann doch Schwedisch. Diese Aufnahme wurde nämlich für das Sveriges Riksradio produziert. Beim zweiten Stück handelt es sich um die Urfassung des Liedes „Zwei Herzen" in rauhem Übungskellerklang. Schön nervig intoniert und instrumentiert – u.a. mit Blockflöte. Auf der B-Seite lässt Müller das Ganze einfach noch mal rückwärts laufen. Kein revolutionärer Einfall, der aber trotzdem durchaus seinen Reiz entfalten kann. GZ Dazu noch ne schöne Doris-Anektode: >„Kann denn Hegel Gründgens sein?" Soll ich mal während eines ‚Tödliche Doris'-Konzertes raufgebrüllt haben. Konnte ich nicht glauben: Wie soll ich auf so etwa s k ommen? Es ist aber auf einer Live-Aufnahme zu hören und auch, daß mir die Formation deswegen gleich unbedacht von der Bühne herab Haue androhte. Dabei ist der Satz Zierde einer sonst unbelebt wirkenden Achtzigerjahreverfehlung.< (T. Kapielski Weltgunst, 2004)
Dass S.Y.P.H. mit Punk/Wave-Band nur unzureichend
beschreibbar ist, zeigt sich auf Rare & Lost Into The Future (VOD
12, LP) überdeutlich. Die geradezu krautigen Züge, die Uwe Jahnke, der
nach einem Kinks-Song benannte Can-Fan Harry Rag, Uli Putsch & Jojo
Wolter zeigten, führten die Crack in the Cosmic Egg-Autoren auf den
Einfluss des Punksympathisanten Holger Czukay zurück, der bei PST
(1980) & SYPH (1982, beide Pure Freude) mitgemischt hat wie
umgekehrt die Solinger bei dessen Welt-Rekord-LP On the Way to the Peak
of Normal (1981). Wie auch immer, die Rare & Lost-Ausgrabungen
räumen dem straighten Song an sich und dem Prinzip Harte Musik mit
deutschen Texten wenig Platz ein. Statt dessen gibt es zwischen dem
einigermaßen harmlos rockenden Auftakt ‚I want you' und der finalen
‚Fuddel Spirale' wirr und weird eiernde Tänzchen auf der Blöd- bis
Gut-blöd-Skala und Blutgrätschen gegen den rundgelutschten
Pop-Konsumbetrieb. Das plunderphonische Radiosurfing +
Mundharmonika-Stück ‚Acoustic Alarmclock' trägt schon einen
merkwürdigen Erdbeergeschmack, wird aber gleich noch überboten durch
die grenzdebile Minimal-Art-Brut von ‚Musik zu zweit' und erst recht
durch das monotone Vollsuffgelaber ‚John Thursday'. Alle Erwartungen
auf ‚Unterhaltung' oder ‚Dröhnung' werden demonstrativ berülpst und
verkackeiert. Die Verweigerungsstrategie setzt sich auf der Arsch-Seite
nach dem Cheap-Electro-meets-Pathosgitarre-Titeltrack fort mit der
Kapielski'esk betitelten, drum-machine-verschnarchten Wave-Simplizität
von ‚Lebensgunst' und das war dann schon der poppige Teil. ‚Nur eine
Atmo' entpuppt sich als Klangcollage aus Glockengeläut, Vogelstimmen,
Verkehrslärm, ‚Fairabendjezz' mit seinem Mülltonnengroove und
Trompetengetröter ist allenfalls Jazz, wie er zwischen Armstrong und
Zorn nicht im Buche steht und ‚Fritz Franz' ist ein derart fuddeliger
Weltraumspaziergang, dass man gar nicht merkt, wenn er in die ‚Fuddel
Spirale' mündet.
Nun mögen sich die Geister scheiden - sind das Abfallprodukte der Bart- & Orgelverächter, die besser nicht ans Tageslicht gekommen wären, ‚Gunstkacke', oder der wahre Punk auf einem Level für Fortgeschrittene? S.Y.P.H. hatten sich nie auf Punk-Format reduzieren lassen und, neben ‚Zurück zum Beton'-Provokationen nach Links und Christian-Na-Klar- & Rudi-Dutschke-Koketterie nach Mitte-Rechts, immer nach dem klanglichen Normenverstoß gestrebt bis hin zum Ein-Akkord-Monster ‚Euroton'. Editiert wurde die Rare & Lost-Compilation in Ljublijana, denn dorthin hat es Harry Rag verschlagen. Punk war einmal und ‚Verschwende deine Jugend' ist inzwischen Regierungsprogramm und nur Überschlaue deuten das als Rache der Hippies an ihren einstigen Verächtern. rbd 02/05 - *gz 03/05